Als ich 2019 eine Lungenentzündung bekam und diese mit Antibiotikum so behandelt wurde, dass sie nach wenigen Wochen ausheilte, dachte ich, dass es damit getan ist. Später im Jahr 2019 bemerkte ich Muskelzuckungen im Bein und ich dachte, dass wird schon wieder. Als ich 2020 bei kleinster Belastung starke Luftnot bekam und zum Hausarzt ging, sollte das der Beginn eines zwei Jahre dauernden Untersuchungsmarathons werden.
Haus-und Fachärzte suchten zuerst ambulant nach der Ursache für die immer heftiger werdenden Luftnot. Mein Hausarzt überwies mich 2020 ins Krankenhaus Pinneberg, später wurde ich im Universitätsklinikum Hamburg- Eppendorf (UKE) umfangreich untersucht. Sowohl im März 2020 als auch sieben Monate später, im Oktober 2020, wurde bei Bronchoskopien in der Spülflüssigkeit eine Lymphozytäre Alveolitis nachgewiesen. Den Auslöser dieser Alveolitis fanden die Spezialisten trotz intensiver Suche nicht. Ärzte vermuteten lange, dass eine seltene Lungenerkrankung oder eine Autoimmunerkrankung Auslöser der sich immer deutlicher werdenden Symptome sein könnte. Fast pausenlos schlossen die UKE-Ärzte eine Krankheit nach der anderen aus. Die jetzt fachgebietsübergreifende Suche nach der möglichen Ursache erstreckte sich schließlich auf meinen ganzen Körper. Zahlreiche CTs, MRTs und unendliche viele Blutabnahmen blieben damals noch ohne wegweisenden Befund. Auch eine Biopsie des Lungengewebes und von Lymphknoten brachte keine neuen Erkenntnisse. Monate vergingen, eine Krankheit nach der anderen wurde ausgeschlossen.
Ärzte hofften im Jahr 2020 durch den siebenmonatigen Einsatz von hochdosierten Cortison die Lungenfunktion verbessern zu können, sie versuchten so die Alveolitis in den Griff zu bekommen. Aber auch dieser Versuch blieb ohne Besserung. Der unangenehme Nebeneffekt des Cortisons war eine sehr starke Gewichtszunahme. Nach dem Ausschleichen und Absetzen des Cortisons normalisierte sich mein Körpergewicht innerhalb von Monaten. Aber die Alveolitis blieb.
Eine pneumologische Reha Anfang 2021 brachte keine Besserung der Luftnot. Die vom UKE angeregte Zweitmeinung durch die Lungenklinik Großhansdorf brachte ebenfalls kein wegweisendes Ergebnis. Alle fächerübergreifend beteiligten Ärzte waren sich jetzt einig, dass die nachgewiesene Alveolitis allein diese ausgeprägte und fortschreitende Abnahme der Lungenfunktion nicht verursachen könne, weswegen die Suche nach möglichen Ursachen weiter ging. Ärzte der speziellen Lungenklinik empfahlen eine nochmalige umfangreiche neurologische Untersuchung.
Bei weiteren stationären und ambulanten Untersuchungen zeigte sich im Verlauf eine Zwerchfell-Lähmung, erst einseitig, später beidseitig. Das Zwerchfell ist der für die Einatmung wichtigste Atemmuskel, der die Ruheatmung weitgehend allein übernimmt.
Wegen der sich immer weiter verschlechternden chronischen ventilatorischen Insuffizienz passten die UKE-Pneumologen im April 2021 eine NIV-Beatmung an. Zunächst brauchte ich sie nur nachts, heute brauche ich die Beatmung rund um die Uhr. Obwohl die Ursache für die Lähmungen der Atemmuskulatur damals noch unbekannt war und trotz der Lymphozytären Alveolitis, entschieden sich die Ärzte mit mir für die Behandlung mit einer NIV-Beatmungstherapie.
Ohne Pause kamen weitere Symptome hinzu, mit dem linken Fuß bleib ich öfter hängen, die Muskeln in den Beinen verkrampften sich und zitterten immer öfter. Im weiteren Verlauf bemerkte ich eine sich ausbreitende muskuläre Schwäche, erst in einem Fuß und dann in beiden Füßen. Nach mehreren Stürzen kristallisierte sich eine Fußheberschwäche heraus, später kam eine muskuläre Schwäche der Hände und Arme hinzu. Schnell war ich auf einen Rollator angewiesen.
Wegen heftiger werdenden Muskulschmerzen verschrieben die Ärzte das Schmerzmittel Metamizol. Plötzlich stiegen meine Leberwerte in bedrohlicher Intensität an. Der Hausarzt meinte, dass ich sofort ins Krankenhaus müsse. Über die Notaufnahme des UKE kam ich zu den Leberspezialisten der Uniklinik. Nach CTs, MRTs und einer Leberbiopsie stand der Auslöser für die schwere Hepatitis fest: Ich habe eine Allergie gegen das Schmerzmittel Metamizol. Nach deren Absetzen verheilte die Hepatitis vollständig. Heute erhalte ich andere Medikamente zur Entspannung verkrampfter und schmerzhafter Muskulatur.
Im Herbst 2021 folgte ein weiterer 10-tägiger Aufenthalt im UKE, diesmal in der Neurologie. Die umfassende neurologische Untersuchung schloss weitere Krankheiten aus. Zu den langwierigen Untersuchungen gehörten die Elektromyographie, Elektroneurographie, motorisch-evozierte Potentiale, Liquorpunktion, unendlich viele Blutabnahmen und eine Muskelbiopsie sowie MRT des Schädels und vom Rückenmark. Auch genetische Untersuchungen waren gänzlich unauffällig. Dann zeigte sich eine Spur: Ärzte äußerten erstmals den Verdacht, dass es sich um eine Motoneuronerkrankung handeln könnte. Anfang 2022 bekamen meine Frau und ich abschließende Klarheit: Die Neurologen waren sich jetzt sicher, dass es ALS ist, Ursache unbekannt.
Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine sehr schwere, nicht heilbare Erkrankung des motorischen Nervensystems. Bei ALS verlieren die motorischen Nervenzellen, die für die willkürliche Steuerung der Muskulatur verantwortlich sind, fortschreitend ihre Funktion. Diese Diagnose war für uns ein enormer Schock. Der Abbau von Nervenzellen (Neurodegeneration) stellt sich bei meiner ALS vor allem durch eine beidseitige Zwerchfelllähmung mit ventilatorischer Insuffizienz dar, dazu kommen Kraftminderung und Muskelschwäche, Muskelschwund und z.T. schmerzhafte Steifigkeit der Muskeln. Der Nervenzellverlust hat bei mir zur Folge, dass die Mobilität meiner Hände, Arme, Beine sowie des Rumpfes und der Zunge durch die Krankheit immer stärker eingeschränkt ist. Durch Verschlucken mit Aspiration habe ich zwei weitere Lungenentzündungen gehabt, die rechtzeitig mit einem Antibiotikum zuhause behandelt wurden. Um schmerzhafte Spastiken zu reduzieren, helfen Muskelrelaxanzien zur Entspannung der Muskulatur und Schmerzmittel. Nicht betroffen von der ALS sind meine Körperwahrnehmung und Sinneswahrnehmungen (Sehen, Hören, Schmecken, Riechen, Gleichgewichtssinn, Tastsinn). Auch die Herzmuskulatur und die Kontrolle von Urin und Stuhl bleiben bei dieser Krankheit unberührt. Im fortgeschrittenen Krankheitsverlauf kann es zur vollständigen Lähmung der Skelettmuskulatur kommen. ALS ist nicht heilbar aber durch Physio- und Atemtherapie, durch Logopädie und Ergotherapie und durch Medikamnte können Symptome gelindert werden.
Die ALS verläuft bei jedem Patienten anders. Durch Muskelschwund und schmerzhafte Verkrampfungen der betroffenen Extremitäten sind diese bei mir gelähmt, weswegen ich auf technische Hilfsmittel, wie zum Beispiel Elektro- Rollstuhl oder Patientenlifter angewiesen bin. Bei meinen oberen Extremitäten sind das Heben, Tragen, Schreiben, Schneiden, Essen, der Toilettengang und die Körperpflege fortschreitend stark beeinträchtigt, weswegen ich in fast allen Lebenslangen auf technische und fachlich-menschliche Hilfe angewiesen bin. Bei mir entstanden ebenfalls eine Sprech- und Schluckstörung („bulbäre Symptome“). Ich habe zwischen Dezember 2023 und November 2024 nochmals 22 Kilo abgenommen. Es kann für den Verlauf ALS-Betroffener von Vorteil sein, nicht übermäßig an Gewicht zu verlieren. Eine kalorienreiche, möglichst fetthaltige Ernährung ist bei mir vorteilhaft, da sich ein höheres Körpergewicht positiv auf den Krankheitsverlauf auswirkt. Meine Ernährungssonde in Form eines PEG-Buttons stellt heute eine ausreichende Ernährung mit Sondenkost sicher. Meine Maskenbeatmung benötigte ich bereits seit April 2021, zunächst nur nachts, heute rund um die Uhr.
Die mittlere zu erwartende Lebenszeit von Menschen mit ALS beträgt nach der Diagnosestellung 3 bis 5 Jahre. Die statistischen Angaben beziehen sich auf den Krankheitsverlauf ohne Berücksichtigung von lebensverlängernden Behandlungsoptionen, wie die Beatmung rund um die Uhr und Ernährung mit Sondenkost über die PEG. So kann laut Experten eine Lebenszeitverlängerung bis hin zu vielen Jahren erreicht werden, abhängig von den eingesetzten Behandlungsverfahren und vom individuellen Krankheitsverlauf.
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