Bereits im Jahr 2019 war ich schnell erschöpft, immer wieder zitterten die Muskeln der Beine, der Hausarzt tippte auf Kalziummangel. 2020 bekam ich schon bei geringster Belastung Luftnot. Ich ging wieder zum Hausarzt, dieser überwies mich zunächst an einen Rheumatologen, später an einen Pneumologen und noch später zu einem Neurologen. Es folgte ein langer Diagnosemarathon mit zahlreichen zum Teil ausgedehnten stationären Aufenthalten.
Zunächst wurde ich 2020 in einem Krankenhaus im Kreis Pinneberg, später im Hamburger UKE umfangreich untersucht, der Fokus lag zunächst auf der Lunge. Sowohl im März 2020 als auch im Oktober und Dezember 2020 wurde bei Bronchoskopien in der Spülflüssigkeit eine Lymphozytäre Alveolitis nachgewiesen. Den Auslöser der Alveolitis fanden die Spezialisten trotz intensiver Suche nicht. Lange vermuteten die Ärzte, eine seltene Lungenerkrankung oder eine Systemerkrankung müsse Auslöser meiner fortschreitenden Atem-Beschwerden sein. Die jetzt fachgebietsübergreifende Suche nach der Ursache erstreckte sich schließlich auf meinen ganzen Körper. Viele aufwändige CTs und MRTs unendliche viele Blutabnahmen blieben ohne Befund. Auch eine Biopsie des Lungengewebes und von Lymphknoten brachte keine Erkenntnisse. Monate vergingen, eine Krankheit nach der anderen wurde ausgeschlossen.
Ärzte hofften 2020 durch den sechsmonatigen Einsatz von hochdosierten Kortison die Lungenfunktion verbessern zu können. Ärzte versuchten so die Alveolitis in den Griff zu bekommen. Aber auch dieser Versuch blieb ohne Besserung. Der unangenehme Nebeneffekt des Kortisons war eine sehr starke Gewichtszunahme von mehr als 30 Kilo, wovon ich sofort nach Ausschleichen einen Großteil wieder loswurde.
2017 bin ich ich noch gesund
2020 nach 6 Monaten Kortison
Das bin ich Anfang 2025.
Eine pneumologische Reha brachte auch keine Besserung der Luftnot. Die vom UKE angeregte Zweitmeinung durch die Lungenklinik Großhansdorf brachte ebenfalls kein wegweisendes Ergebnis, doch die dortigen Ärzte empfahlen eine nochmalige neurologische Untersuchung. Denn die beteiligten Ärzte waren sich jetzt einig, dass die nachgewiesene Alveolitis allein die ausgeprägte und fortschreitende Abnahme der Lungenfunktion nicht verursachen könne.
Bei weiteren stationären und ambulanten Untersuchungen zeigte sich eine Zwerchfell-Lähmung, zunächst einseitig, später beidseitig, die gesamte Atemmuskulatur wurde kontinuierlich immer schwächer. Wegen der sich immer weiter verschlechternden chronischen ventilatorischen Insuffizienz passten die Pneumologen im UKE im April 2021 stationär eine NIV-Beatmung an. Zunächst brauchte ich sie nur nachts, heute brauche ich die Beatmung rund um die Uhr. Obwohl die Ursache für die Lähmungen der Atemmuskulatur damals unbekannt war und trotz der Lymphozytären Alveolitis, entschieden sich die Ärzte für die NIV-Beatmung.
Dann kamen weitere Symptome dazu, die Muskeln in den Beinen verkrampften sich und zitterten immer öfter. Im weiteren Verlauf bemerkte ich eine sich ausbreitende muskuläre Schwäche, erst in einem Fuß und dann in beiden Füßen. Nach mehreren Stürzen kristallisierte sich eine Fußheberschwäche heraus, später kam eine Schwäche der Beine, der Hände und Arme hinzu. Ich war auf einen Rollator angewiesen.
Gegen Muskel- und Gelenkschmerzen verschrieben die Ärzte das Schmerzmittel Metamizol. Plötzlich bemerkten Ärzte bedrohlich erhöhte Leberwerte. Über die Notaufnahme des UKE kam ich zu den Leberspezialisten der Uniklinik. Nach CTs, MRTs und einer Leberbiopsie stand der Auslöser für die schwere Hepatitis fest: Ich habe eine Allergie gegen das Schmerzmittel Metamizol. Nach deren Absetzen verheilte die Hepatitis vollständig.
Im Herbst 2021 dann ein erneuter 10-tägiger stationärer Aufenthalt im UKE: Diesmal wurde ich in der Neurologie aufgenommen. Nach intensiver Untersuchung, wie Elektromyographie, Elektroneurographie, motorisch-evozierte Potentiale, Liquorpunktion und Muskelbiopsie sowie MRT des Schädels und vom Rückenmark wurden viele in Frage kommenden Krankheiten ausgeschlossen. Dann äußerten die Ärzte erstmals den Verdacht, dass es sich um eine Motoneuronerkrankung handeln könnte. Anfang 2022, bekamen wir abschließende Klarheit: Die Neurologen sind sich nun sicher, dass es ALS ist. Ursache: Unbekannt. Auch genetische Untersuchungen waren bei mir gänzlich unauffällig.
Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine schwere, bisher nicht heilbare Erkrankung des motorischen Nervensystems. Bei der ALS verlieren die motorischen Nervenzellen, die für die willkürliche Steuerung der Muskulatur verantwortlich sind, fortschreitend ihre Funktion. Die geschädigten motorischen Nervenzellen (Motoneurone) befinden sich im Gehirn und im Rückenmark. Das „Erste Motoneuron“ („obere Motoneuron“) beginnt im Gehirn und reicht mit einem langen Nervenfortsatz (Axon) bis zum Rückenmark (Myelon). Dort haben sie Kontakt mit den Nervenzellen des „Zweiten Motoneurons“ („unteres Motoneuron“). Das zweite Motoneuron ist durch einen weiteren Nervenfortsatz mit der Muskulatur verbunden.
Der Abbau von Nervenzellen (Neurodegeneration) stellt sich bei meiner ALS vor allem als Kraftminderung und Muskelschwäche, Muskelschwund oder Steifigkeit dar. Der Nervenzellverlust hat bei mir zur Folge, dass die Mobilität meiner Hände, Arme, Beine sowie des Rumpfes und der Zunge im Laufe der Krankheit eingeschränkt sind und verloren geht. Nicht betroffen von der ALS sind die Körperwahrnehmung und Sinneswahrnehmungen (Sehen, Hören, Schmecken, Riechen, Gleichgewichtssinn, Tastsinn). Auch die Herzmuskulatur und die Kontrolle von Urin und Stuhl bleiben unberührt. Im fortgeschrittenen Krankheitsverlauf kann es zur vollständigen Lähmung der Skelettmuskulatur kommen. Die ALS zählt daher zu einer der schwersten Erkrankungen des Menschen. Sie ist nicht heilbar, durch eine Behandlung können ihre Symptome jedoch gelindert werden.
Die ALS verläuft bei jedem Patienten unterschiedlich. Durch Muskelschwund und Steifigkeit der betroffenen Extremitäten sind diese bei mir fortschreitend gelähmt. Meine untern Extremitäten (Beine und Füße) sind ebenfalls betroffen, weswegen ich auf einen Elektro- Rollstuhl angewiesen bin. Bei meinen oberen Extremitäten werden das Heben, Tragen, Schreiben, Schneiden, Essen und die Körperpflege fortschreitend beeinträchtigt, weswegen ich in fast allen Lebenslangen auf technische und fachliche Hilfe angewiesen bin. Bei mir entstanden ebenfalls eine Sprech- und Schluckstörung („bulbäre Symptome“). Ich habe zwischen Dezember 2023 und Dezember 2024 nochmals 22 Kilo abgenommen. Meine Ernährungssonde, die PEG, stellt heute eine ausreichende Ernährung mit Sondenkost sicher. Meine Maskenbeatmung benötigte ich bereits seit 2021, zunächst nur nachts, heute rund um die Uhr.
Die mittlere zu erwartende Lebenszeit von Menschen mit ALS beträgt nach der Diagnosestellung 3 bis 5 Jahre. Etwa 10 % haben einen langsamen Verlauf der ALS mit längeren Überlebenszeiten. Bei einem Teil der Patienten sind Verläufe von mehr als 10 Jahren bekannt. Die statistischen Angaben beziehen sich auf den Krankheitsverlauf ohne Berücksichtigung von modernen Behandlungsoptionen. Durch meine Nutzung der Maskenatmung und meiner Ernährungshilfe in Form der PEG, eine Ernährungssonde, kann eine Lebenszeitverlängerung bis hin zu vielen Jahren erreicht werden, abhängig von den eingesetzten Behandlungsverfahren und vom individuellen Krankheitsverlauf.
„www.mit-als-leben.de“ ist eine private Homepage, erstellt durch mich, Tilman Holweg.
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