Menschliche, fachliche und technische Hilfe 

Natürlich machen mich Glaube, Liebe, Hoffnung und starker Lebenswille nicht unsterblich. Diese Werte stehen gleichzeitig auch für unsere Chance als Mensch, vielfältige Möglichkeiten auch unter schwierigen Umständen zu entfalten. Die Akzeptanz und das Annehmen der Krankheit bedeutet für mich eine große Herausforderung. Immer mühsamer werden die alltäglichen Dinge, die früher einmal selbstverständlich waren und bis sie nur noch mit Hilfe von Menschen, Hlfsmitteln oder medizinischen Geräten möglich sind und eben zum Teil auch gar nicht mehr möglich sind. Laufen, Treppensteigen, Anziehen, Waschen, Essen, Trinken, Sprechen, Atmen, alleine zur Toilette gehen - eine Fähigkeit nach der anderen schwindet, während meine Abhängigkeit wächst.

ALS bedeutet für mich, Bedürfnisse zu reduzieren, auf vieles zu verzichten und unendlich viel Geduld mit mir und den anderen zu haben. Ganz plötzlich wird das, was früher normal war, kostbar und erstrebenswert. ALS ist, als ob du eingesperrt bist im eigenen, immer schwächer werdenden Körper. Mein Kopf ist klar, aber der Körper kann nach und nach nicht mehr. Der Verlust meiner Selbstständigkeit und meiner Privats- und Intimsphäre, das ständige Abschiednehmen und Anpassen an sich verändernde Umstände, haben mir vor Augen geführt, wie wertvoll mein Leben vor ALS war. Diese Krankheit so anzunehmen, wie sie eben ist, bedeutet für mich nicht, dass ich mich aufgebe. Vielmehr versuche ich trotz ALS das Beste aus meinem Leben zu machen. 

Nach der Diagnose ALS

Für meine Frau und mich war die Diagnose ALS bei mir ein enormer Schock. Unsere Zukunftsplanung, unsere Träume und Wünsche, die wir uns in der ohnehin schon besonderen Lebenssituation mit unserer kranken Tochter gemacht hatten, schienen jetzt in sich zusammen zu fallen. Damals nach Deikes Geburt wussten meine Frau und ich überhaupt nicht, was für eine schwere Aufgabe in den folgenden Monaten und Jahren auf uns zukommen wird. Das erkannten wir erst nach und nach. Heute wissen wir rückblickend, was meine Frau, unser großer und gesunder Sohn und ich, zusammen für ein bestmögliches Leben für Deike geleistet haben. 

Nachdem wir in den ersten Lebensjahren Deikes die pflegerische Versorgung fast allein machten, holten wir später Hilfe in Form von außerklinischer Intensivpflege hinzu, zunächst stundenweise, später rund um die Uhr. In den vielen zurückliegenden Jahren haben wir durch Deike mehrere spezielle Intensiv-Pflege-Dienste kennengelernt. Auch die Versorgung auf dem Weg der Kostenerstattung oder des Persönlichen Budgets haben wir für viele Jahre organisiert. Wir überlegten, was für uns die wohl beste Versorgungsform mit zwei schwerstkranken in einer Familie sein wird. Kostenerstattung? Persönliches Budget? Externer Pflegedienst oder selber einen Pflegedienst gründen?  

Wir entscheiden uns ab 01.10.2022 wieder mit einem Intensivpflegedienst zusammen zu arbeiten, zunächst für beide Versorgungen (für Deike und für mich) und nach Deikes Tod im Jahr 2023 nur noch für mich. Auch mit diesen Herausforderungen haben wir in den vielen Jahren gelernt umzugehen. Meine Frau und ich lernten nach und nach mit einer dieser Herausforderung umzugehen und wir wissen heute, wie wichtig es sein kann, Hilfe anzunehmen oder selber zu organisieren. Unser Ziel war, Deike ein so angenehmes und fröhliches Leben zu ermöglichen, wie es eben ging. Und ihr großer und gesunder Bruder durfte bei all dem nicht zu kurz kommen - was für eine Aufgabe. 

Als die Ärzte im Jahr 2022 dann auch noch bei mir ALS diagnostizierten, hat es zunächst eine ganze Weile gedauert, bis wir den nächsten Schock verdauen konnten. Ich konnte mir zuerst gar nicht vorstellen, dass ich wirklich eine so schwere, unheilbare und tödlich verkaufende Krankheit haben sollte. Doch dann wurde uns klar, dass ich in meinem Beruf nicht mehr werde arbeiten können. Den seit meiner Kindheit ausgeübten Segelsport musste ich aufgeben. Auch ehrenamtliche Posten, wie den als Vorstitzender des ältesten Segelvereins Deutschlands, gab ich schon im Frühjahr 2020 wegen heftiger Luftnot auf.

Meine Frau und ich haben durch unsere Tochter gelernt, Freude an den vielen fröhlichen Momenten zu finden, uns auf das zu konzentrieren, was unsere Tochter konnte und nicht auf das, was sie nicht konnte. Die vielen positiven Erfahrungen rundum das Leben mit unserer Tochter, aber auch die negativen Seiten, die vielen, auch öffentlich ausgetragenen Kämpfe mit Kostenträgern, Behörden und mit dem Gesetzgeber haben unser Leben geprägt. Wir haben für uns erkannt, dass genau diese langjährig gesammelten Erfahrungen helfen können, vielleicht besser mit meiner ALS-Erkrankung umzugehen.

Ich war als leidenschaftlicher Segler bei fast jedem Wetter draußen.

Anja und ich waren früher gerne segelnd auf der Ostsee unterwegs.

Selbstbestimmt entscheide ich, wie ich mein verbleibendes Leben organisiere

Das sind Anja und ich 

Lebensqualität und Normalität 

Ich bin gerne draußen mit dem E-Rollstuhl unterwegs, freue mich über Ausflüge, auch spontan, z.B. an die Nord- oder an die Ostsee. Ich mag Hörbücher und klassische Musik. Anja und ich besuchen gerne Konzerte und Museen, ich versuche trotz meiner zunehmenden Einschränkungen so viel Normales zu unternehmen, wie eben geht. Das macht mir Freude und das ist für mich Lebensqualität. Mein E-Rollstuhl und andere Hilfsmittel gleichen wenigstens zum Teil meine Einschränkungen, wie etwa Lähmungen an Beinen und Armen (Tetraparese) aus. Sprechen wird mühsam, meine Sprache wird undeutlicher und leiser, ich verschlucke mich häufiger.

Um lebensgefährliche Aspirationen zu reduzieren, ernähre ich mich überwiegend mit Sondennahrung. Die Sondenkost, ein Teil der Mediamente und Wasser läuft über die PEG-Sonde, durch die Bauchdecke direkt in meinen Magen. Durch Lähmung meiner Atemmuskulatur reicht die Luft zum Atmen allein mit Muskelkraft nicht mehr aus. Ich bin 24 Stunden am Tag auf ein Beatmungsgerät und auf Außerklinische Intensivpflege angewiesen.

Gut, wenn Freunde da sind 

Seit dem klar ist, dass ich ALS habe, kommt Sönke, ein sehr guter Freund, jede Woche zu mir. Wir kennen uns seit unserer Jugendzeit durch das Segeln. Wir reden, spielen Backgammon oder machen Ausflüge. Wahre Freunde erkennt man erst, wenn das Leben schwerer wird. Danke Sönke, dass du da bist.

Rund um die Uhr Hilfe

Im Rahmen der Außerklinischern Intensivpflege (geregelt in §37c SGB V) begleitet mich seit Oktober 2022 rund um die Uhr eine Pflegefachkraft. Sie kümmert sich u.a. um die 24stündige Beatmungstherapie, um die Pflege der PEG-Sonde sowie um Hilfe beim Verschlucken oder bei Aspiration. Hilfe brauche ich bei fast allen Aktivitäten meines täglichen Lebens. 

Mit ALS zu Leben bedeutet für mich, dass ich vieles von dem, was ich möchte, nach und nach nicht mehr kann. Auch wenn ich auf viele Dinge verzichten muss, so bin ich doch glücklich darüber, dass ich im Kopf frei bin und selbstbestimmt lebe. 

Ich bin jeder einzelnen Pflegefachkraft im Team sehr dankbar für die Unterstützung, genauso meinen Ärztinnen und Ätzten, den Therapeuten der Krankengymnastik, der Logopädie sowie der Ergotherapie.

Deike strahlte so viel Fröhlichkeit aus 

Unsere Liebe zu unserer Tochter kannte keine Grenzen. Bis zu Deikes Tod war für Anja und mich jeder Augenblick mit unserer Tochter ein kostbares Geschenk. Jeder Atemzug, jedes Lächeln, jeder Moment zählte. Wir als Eltern trugen eine Last, die kaum in Worte zu fassen ist. Unsere Angst, unsere Sorgen um Deike, die unendlich vielen schlaflosen Nächte, all das blieb für Außenstehende oft verborgen. Wir wurden zu Beschützern und zu Kämpfern für Deike. Anja und ich haben versucht unserer Tochter ihr Leben lang Geborgenheit zu geben, auch wenn es uns oft das Herz zerbrach. Die Liebe zu unserer schwerstkranken Tochter war eine Liebe, die stärker war als Verzweiflung, die heller leuchtete als jede Dunkelheit. Deike mochte es, vorgelesen zu bekommen oder Hörbüchern zuzuhören. Unsere Liebe zu unserer Tochter quittierte Deike ihr Leben lang mit ihrem einzigartigen Lächeln. 

Und unsere gemachten Erfahrungen aus mehr als zwei Jahrzehnten Außerklinischer Intensivpflege und Beatmung bei unserer Tochter Deike geben mir heute große Sicherheit. Alles, was für die Pflege von Deike damals notwendig war, wollte ich auch können, um  die größtmögliche Sicherheit zu haben und um möglichst unabhängig sein zu können. Ich ließ mich von ihrem damaligen Kinderarzt in die Portversorgung einweisen. So konnte ich unabhängig von Ärzten oder Fachkräften bei Deike ihren Port spülen und auch Blut abnehmen. Ich wechselte Deikes Trachealkanüle und ihren Button, alles vollkommen selbstverständlich. 

Bild oben: Deike und ich.

Seit Deikes Geburt war unser Leben geprägt von einem der übelsten Schicksals-Schläge überhaupt: Unsere liebe Tochter war mehrfach schwerstbehindert und seit damals an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr auf Intensivpflege angewiesen. 

Und bei all diesen belastenden Herausforderungen durfte unser gesunder Sohn nicht zu kurz kommen. 

Anja und ich wurden dadurch vor eine der schmerzhaftesten Probe gestellt, die es wohl für Eltern gibt. 

Bild oben: Franziska, Pflegefachkraft 

Franziska begleitete unsere Tochter seit 2013 liebevolle und professionell bis zu Deikes Tod. Auf Franziska konnten und können wir uns  immer uneingeschränkt verlassen. Heute ist sie auch in „meinem“ Pflegeteam dabei. Wer Menschen wie Franziska kennt, hat großes Glück. Danke, dass Du schon so lange bei uns bist.

Bild oben: Meine Frau Anja und Deike.

Meine Frau Anja und ich konnten uns in der ganzen Zeit immer aufeinander verlassen, unsere Liebe hat die vielen schweren Jahre überstanden. 

Im Mai 2021 feierten wir unsere Silberhochzeit. Unser großer Sohn war bereits ausgezogen, er arbeitet in seinem Beruf und lebt mit seiner Freundin zusammen. 

Ich bin rund um die Uhr hervorragend durch feste Intensivpflegekräfte bei uns Zuhause versorgt. Wir freuten uns auf mehr Zeit für uns.

Wir gehen gerne in Konzerte

Käthe (rechts im Bild) begleitet mich als Intensiv-Pflegefachkraft hier in die Elbphilharmonie. Wenn Käthe Dienst hat, kann ich mich blind auf sie verlassen, menschlich und fachlich. Seit Herbst 2022 bis zu Deikes Tod versorgte Käthe liebevoll und professionell unsere Tochter. Ich kann mich glücklich schätzen, dass Käthe heute fest in „meinem“ Pflege-Team ist. Danke dafür, liebe Käthe.

Meine Frau Anja und ich mögen klassische Musik, wir gehen gerne in Konzerte. Dank der Außerklinischen Intensivversorgung sind die Pflegefachkräfte aus meinem Team rund um die Uhr dabei, auch bei Ausflügen oder bei Besuchen in Konzerten, eine Pflegefachkraft begleitet mich immer. Sie überwachen im Rahmen der außerklinischen Intensivpflege beispielsweise meine Atem- und Herz-Kreislauf-Funktionen, sie bedienen das Beatmungsgerät und setzen nach dem Verschlucken oder nach Aspirieren einen Hustenassistenten ein, das ist ein Gerät was meine Hustenschwäche ausgleicht.

Oft besuchen meine Frau (nicht im Bild) und ich auch Konzerte in der Hamburger Laeiszhalle. Hier mit dabei: "meine" Intensiv- Pflegefachkraft Natalie. An Natalie schätze ich ihre Verlässlichkeit, ihre Genauigkeit und Professionalität. Natalies Menschlichkeit ist ihre große Stärke. Ich freue mich, dass du dabei bist.

„www.mit-als-leben.de“ ist eine private Homepage, erstellt durch mich, Tilman Holweg. Ohne meine vorherige Zustimmung dürfen keine Fotos verwendet werden. Die Fotos auf dieser Webseite sind urheberrechtlich geschützt. Dabei handelt es sich um Fotos, die Franziska Schmitt zur Verfügung gestellt hat und um Bilder aus unserem Archiv, die hier verwendet wurden.

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